Ein Jahr bei uns im Waldorfkindergarten
Die Rolle der Jahreszeiten
In der Waldorfpädagogik spielen die Jahreszeiten eine zentrale Rolle, da sie den natürlichen Rhythmus des Lebens widerspiegeln und das kindliche Erleben von Zeit und Wandel fördern. Wir passen das tägliche Geschehen eng an den Jahreslauf an, etwa durch saisonale Feste, handwerkliche Tätigkeiten und Geschichten, die die Naturprozesse veranschaulichen. Frühling, Sommer, Herbst und Winter betrachten wir nicht nur als Jahreszeiten, sondern als Ausdruck tieferer Zyklen von Wachstum, Reife, Rückzug und Erneuerung.
Farben in der Waldorfpädagogik
Ein besonderer Aspekt der Waldorfpädagogik ist die bewusste Einbindung von Farben, die nicht nur zur visuellen Gestaltung, sondern auch zur Unterstützung des seelischen Erlebens eingesetzt werden. Rudolf Steiner, der Begründer der Waldorfpädagogik, setzte sich intensiv mit Goethes Farbenlehre auseinander. Goethe betrachtete Farbe als Ausdruck eines Spannungsverhältnisses zwischen Licht und Dunkelheit. So wird Gelb als leicht und belebend empfunden, Blau hingegen als beruhigend und dämpfend, während Purpur als höchste Mitte gilt, in der sich die Gegensätze harmonisch ausgleichen. Diese Erkenntnisse zur Farbwahrnehmung bilden u.a. die Grundlage der modernen Farbpsychologie und prägen bis heute die Gestaltung der Räumlichkeiten und Materialien im Alltag unseres Waldorfkindergartens.
Die bewusste Wahl bestimmter Farbwelten verstärkt die Erfahrungen der Kinder und begleitet die natürlichen Wandlungsprozesse nicht nur sichtbar, sondern auch emotional erfahrbar.
Sinneserfahrung als Grundlage der Entwicklung
Unsere Kinder gestalten mit Ihren Händen beispielsweise Herbstkränze, erleben den ersten Schnee draußen ganz bewusst oder feiern das Erwachen der Natur im Frühling mit Liedern und Reigen. Feste wie Michaeli, Sankt Martin oder Weihnachten sind dabei nicht allein kulturelle Ereignisse, sondern sie helfen den Kindern, eine spürbare Verbindung zur Natur und zur eigenen inneren Entwicklung herzustellen. Die Sinneserfahrung im Kindesalter ist in der Waldorfpädagogik also stets unabdingbare Voraussetzung für sinnvolles Erleben und erfolgreiches Lernen.
Von Mythen, Märchen und Magie
In der Waldorfpädagogik stellen wir die Jahreszeiten oft durch poetische oder märchenhafte Figuren dar, die sich an alten Mythen, Volksmärchen oder Naturbildern orientieren, wir nennen sie Elementarwesen – diese werden in Puppenspielen, Reigen, Liedern oder auf Jahreszeitentischen visualisiert, um die natürliche Rhythmik des Jahres für Kinder erlebbar zu machen.
Der Frühling
Mutter Erde
„Ich bin eine sanfte, blühende Gestalt, die Wärme und Wachstum bringt. Ich bin es, die unsere Erde nach langer Winterszeit wieder zum Leben erweckt. Mein zartes Grün steht für das erste Sprießen der Pflanzen. Pastelltöne wie Rosa und Hellgelb symbolisieren die Blüten und die wachsende Sonne am frischen, hellblauen Frühlingshimmel.“
Im Frühling feiern wir das Osterfest – als Symbol für Erneuerung und Wiedergeburt, mit Frühlingsliedern, Geschichten und dem Bemalen von Eiern.
Der Frühling ist also die Zeit des Erwachens und Neubeginns. Nach der langen Ruhe des Winters beginnt das Leben wieder zu sprießen – ein kraftvoller Impuls nach (dr)außen.








Der Sommer
Sonnenkind
„Ich stehe in der Mitte des Jahres, bringe Euch Licht, Wärme und Lebensfreude. Meine Farben sind strahlend und warm, wie Sonnengelb, Gold und Orange – sie spiegeln das Licht und die Wärme des Sommers wider. Mein kräftiges Grün unterstreicht die volle Blüte der Natur. Manchmal bin ich ein sanftes Blau für das Sommerhimmelgefühl. Komm‘ und tanz mit mir!“
Der Sommer verkörpert für uns Fülle, Expansion und Lebenskraft! Er ist eine Phase des Wachstums, der Aktivität und der Verbindung zur äußeren Welt.
Mit unserem Johannifest am 24. Juni, feiern wir zuerst die Sommersonnenwende mit Feuern, Tänzen und den Themen Licht und Wärme. Alle Kinder bringen die ersten reifen Früchte und Beeren des Jahres in kleinen Körbchen mit in die Gruppe – wir wollen den warmen Sommer sehen, schmecken und riechen!
Im Samenkorn begrüßen wir anschließend den Sommer mit unserem alljährlichen Sommerfest im August.
Die Kinder tanzen und singen um unseren geschmückten Sommerbaum, basteln und essen unter freiem Himmel, und tragen dabei von ihren Eltern gebundene Blumenkränzchen aus frischen Sommerblumen.
Wenn mit dem Sommer auch das Kindergartenjahr zu Ende geht, entlassen wir unsere Schulkinder feierlich in einen neuen Lebensabschnitt und die kleineren Kindergartenkinder in die Sommerferien: Jedes Kind durchschreitet voller Stolz auf ein erfolgreich absolviertes Jahr das Rosentörlein und bekommt seine Rose überreicht.







Der Herbst
Erntekönig
„Ich bringe Euch warme, erdige Farben wie Rot, Orange und Braun – sie stehen für das reife Laub und die Ernte.
Gold symbolisiert das Licht, das allmählich schwächer wird, aber noch leuchtet. Dunkelviolett oder Bordeauxrot beschreiben die mystische, nebelige Herbststimmung.“
Der Herbst steht für die Zeit der Reife, des Abschieds vom Sommer und der Vorbereitung auf die dunklere Jahreszeit.
Die Natur zieht sich langsam wieder zurück, und auch der Mensch richtet sich wieder mehr nach innen.
Eine wichtige Figur des Herbstes ist der Erzengel Michael. Er steht für Mut und die innere Kraft, die in der dunkler werdenden Jahreszeit gebraucht wird. Zu Beginn des neuen Kindergartenjahres zeigt uns Michaeli, am 29. September, eben diesen Mut und innere Stärke – begleitend lesen wir zusammen Sagen und Märchen über das Besiegen innerer und äußerer Herausforderungen.
Auch unser Erntedank ist ein zentrales Fest dieser Zeit. Im Bewusstsein über die reichen Gaben der Natur, bringen die Kinder dankbar ihre Erntekörbchen mit in die Gruppe. Aus diesen Gaben bereiten sie, zusammen mit den Erziehern, stolz ihr Mittagessen für die kommenden Tage zu.
In Verbindung mit der Kartoffelernte aus unserem eigenen Beet, freuen sich die Kinder Anfang Oktober auf das Kartoffelfest – gemeinsam bereiten wir die Ernte in großer Runde am offenen Feuer zu! Dazu gibt es Stockbrot und mitgebrachte Leckereien. Ein Rausch der Sinne und Farben, denn die Natur zeigt uns jetzt bereits ihr buntes Herbstkleid.







Der Winter
Väterchen Frost
„Ich zeige Euch den frostigen, klaren Winter. Ihr nehmt mich in reinen, kalten Tönen wie Eisblau, Dunkelblau oder Silber wahr. Meine Farben spiegeln Frost, Schnee und Stille wider. Mein sanftes Violett zeigt Euch die Dämmerung und tiefe Winterhimmel.“
Der Winter wird in der Waldorfpädagogik als eine Zeit des Rückzugs, der Stille und der inneren Einkehr betrachtet.
Diese Jahreszeit steht in starkem Kontrast zum Sommer, der von Aktivität und äußerem Erleben geprägt ist.
Im Winter richtet sich der Fokus auf das Innere, sowohl in der Natur als auch im Menschen selbst – wir sehnen uns nach Frieden, Licht und Wärme.
Diese Zeit des Jahres prägt Sankt Martin, um den 11. November. Die Kinder ziehen mit ihren selbst gestalteten Laternen in den Abend hinaus, und singen eifrig einstudierte Lieder. Zum Abschluß des Laternenumzuges, versammeln sich alle Familien um den großen, leuchtenden Kürbis im Garten. Durch das Teilen von selbstgebackenen Mondenhörnchen, leben wir Mitgefühl und Nächstenliebe.
Die Adventszeit steht für Licht im Dunkel, für unsere Krippenspiele und den liebevoll gestalteten Krippenweg im Gruppenraum, das Ziehen von warmen und wohlriechenden Bienenwachskerzen, und für eine entspannte, besinnliche Zeit auf dem Weg zum Weihnachtsfest als Höhepunkt.
Mit Epiphania, dem Dreikönigsfest am 6. Januar, verbinden wir Geschichten und Rollenspiele über die Heiligen Drei Könige und die Geburt des Jesuskindes.










Jedes unserer Feste unterstützt den natürlichen Rhythmus der Jahreszeiten und verbindet die Kinder mit der Natur und ihren inneren Entwicklungsprozessen – jeden Tag und jedes Jahr aufs Neue…
Ein liebgewonnenes Ritual am Ende einer jeden Feierlichkeit, ist unser Schutzengel-Lied, auf das die Kinder bereits warten bevor sie nach Hause aufbrechen. Es wird freudig und eindrücklich von Gesten, Handzeichen und Fingerspielen begleitet:
“ Schutzengel mein, behüt‘ mich fein,
Tag und Nacht, früh und spät,
bis meine Seele zum Himmel eingeht.
Die Sonne will sinken, alle Sternlein schon blinken,
die Vöglein im Baum, sie zwitschern im Traum,
wollen heimgehn‘, wollen heimgehn‘,
auf Wiedersehn, es war so schön…“
(Volksgut)